PROBLEMATIK DER FRÜHGEBURT BZW. DER DROHENDEN FRÜHGEBURT
Bei den meisten von Geburt an behinderten Menschen handelt es sich bezüglich der Ursache entweder um Schädigungen durch angeborene Fehlbildungen oder aber vor allem um Gehirnschäden durch Frühgeburt. Folgen einer Frühgeburt können aber auch beispielsweise Probleme mit den Augen oder der Lunge sein.
In unserer Praxis betrachten wir es als eine unserer wichtigsten Aufgaben, eine Frühgeburt bei den von uns betreuten Schwangeren zu verhindern.
Zu diesem Zweck führen wir engmaschige Vorsorgeuntersuchungen durch. Wir messen fast immer mit Ultraschall die Länge des Gebärmutterhalses.
Es ist eine unbestrittene Tatsache, dass mit einer zunehmenden Verkürzung des Gebärmutterhalses die Frühgeburtenrate mehr und mehr steigt!
Eine Verkürzung des Gebärmutterhalses endet oft mit einem vorzeitigen Blasensprung. Dies ist darauf zurückzuführen, dass bei einem verkürzten Gebärmutterhals leichter Keime aus der mit Bakterien besiedelten Scheide zur Fruchtblase hinaufgelangen können. Die Fruchtblase besteht aus zwei Schichten. Es kommt dann zu minimalen Entzündungen ohne jedes Fieber oder jedes Krankheitsgefühl bei der betroffenen Schwangeren. Daraufhin verkleben dann die beiden Fruchtblasenblätter miteinander. Bei den leichtesten Wehen reißt sich dann eine Haut an der anderen auf. Der vorzeitige Blasensprung ist nicht der
Beginn des Schicksals der Frühgeburt, sondern er ist das Ende einer Entwicklung, die oft übersehen wird.
Bezüglich der Maßnahmen zur Verhinderung einer Frühgeburt sind sich die Frauenärzte keineswegs einig. In Deutschland werden 8-9% aller Kinder zu früh geboren und dies mit eher steigender Tendenz. Ursachen für die Frühgeburten können sein:
- a) Eine familiäre Neigung.
- b) Körperlicher oder seelischer Stress.
- c) Eine Schädigung des Gebärmutterhalses durch vorhergegangene operative Eingriffe. Dies können Ausschabungen bei Schwangerschaftsabbrüchen oder Fehlgeburten ohne Vorbereitung durch ein Wehen auslösendes Medikament sein. Möglich ist auch die operativ bedingte Verkürzung des Gebärmutterhalses durch die Entfernung von Krebsvorstufen.
- d) Infektionen.
- e) Eine nicht medizinische aber gesellschaftliche Ursache für die hohe Frühgeburtenrate ist der Umstand, dass Kliniken sehr gut für die Aufzucht von Frühgeborenen bezahlt werden. Die Vermeidung von Frühgeburten wird dagegen kaum honoriert. Es ist leider eine Erfahrungstatsache, dass gerade große Krankenhäuser mit Kinderabteilungen oft sehr wenig tun, um Frühgeburten zu verhindern. In einem Leitartikel des Deutschen Ärzteblattes wird diskutiert, ob sogar extreme Frühgeburten provoziert werden!
Vor ca. 20 Jahren hat man weniger über die Ursachen von Frühgeburten spekuliert. Im Vordergrund stand die Unterscheidung zwischen vorzeitigen Wehen und Gebärmutterhalsschwäche oder einer Kombination aus diesen beiden Ursachen.
Folgende Behandlungsmöglichkeiten existieren.
- a) Körperliche Schonung.
- b) Medikamentöse Hemmung der Wehen.
- c) Operative Umschlingung des Gebärmutterhalses durch eine sogenannte Cerclage. Diese stellt eine gewisse Stütze dar. Sie ist aber keine absolute Garantie dafür, dass es nicht dennoch zu einer Frühgeburt kommt. Körperliche Schonung ist auch bei liegender Cerclage weiterhin sehr wichtig.
- d) Einlage von ringförmigen sogenannten Cerclagepessaren, die den Gebärmutterhals zusammenhalten sollen.
- e) Antibiotika.
- f) Medikamente, die die Atemfähigkeit des Kindes fördern sollen, falls eine Frühgeburt nicht zu vermeiden ist.
Vor ca. 20 Jahren begann die Diskussion um Frühgeburten durch Infektionen. Wir Geburtshelfer „werfen seit 20 Jahren mit Antibiotika um uns“, und die Frühgeburtenrate in Deutschland steigt dennoch eher als dass sie sinkt.
In Frankreich misst man körperlicher und seelischer Überanstrengung eine größere Bedeutung zu und schreibt großzügig krank bzw. stellt Hilfskräfte für die Schwangeren zur Verfügung. Dies mit Erfolg. Die Frühgeburtenrate in allen Industrienationen außer Frankreich liegt zwischen 7 und 12% (Amerika) – in Frankreich zeitweise 4%.
In Deutschland spielt das Thema Infektionen der Scheide eine besonders große Rolle. Frauen sollen regelmäßig den ph-Wert in ihrer Scheide messen, um Infektionen zu erkennen. Diese Maßnahme hat zu keiner Senkung der Frühgeburtenrate geführt. Wir sind der Meinung, dass die Bedeutung der Infektionen überschätzt wird. Natürlich behandeln auch wir diese, und wir testen auch auf Infektionen. Wir haben allerdings ein vollkommen anderes Konzept zur Frühgeburtenvermeidung. In unserer Praxis betreute Schwangere haben eine extrem niedrige Frühgeburtenrate.
Momentan ist es modern zu behaupten, dass Progesteron in die Scheide eingeführt Frühgeburten verhindert.
Wie bereits dargestellt, messen wir sehr regelmäßig die Länge des Gebärmutterhalses. Werden gewisse Maße unterschritten, dann stellen wir sehr großzügig eine Haushaltshilfe zur Verfügung. Die Vermeidung körperlichen und seelischen Stresses ist in der Schwangerschaft besonders wichtig.
Die Wissenschaft ist momentan gegenüber Wehen hemmenden Tabletten sehr skeptisch eingestellt. Das jahrzehntelang benutzte Partusisten ist in der Tablettenform 2013 vom Markt genommen worden. Als Infusion über eine Vene soll es offiziell nur kurzfristig eingesetzt werden. Es gibt andere Wehen hemmende Substanzen.
Trotz wissenschaftlicher Studien, die Erfolge bestimmter Methoden behaupten, hat sich dies in der bundesweiten Statistik nicht bemerkbar gemacht.
Manche Kliniken führen relativ viele operative Muttermundsumschlingungen durch, andere nur sehr wenige oder gar keine. Prinzipiell werden Cerclagen immer seltener gemacht.
Stellen Sie sich vor, dass man bezüglich der Länge des Gebärmutterhalses in Hinblick auf die Qualität Zensuren wie in der Schule vergibt. Bei einem Gebärmutterhals mit den Noten 1, 2 oder 3 führen wir keine Therapie durch.
Frauen, deren Gebärmutterhals die Note 4 verdient, würden wir eine Haushaltshilfe anbieten. Auch Wehen hemmende Medikamente und die Gabe von Medikamenten, welche die Lungenreife des Kindes fördern sollen, sind in dieser Situation zu erwägen.
Es ist in unseren Augen nicht sinnvoll, mit einer Therapie erst bei einer Gebärmutterhalslänge zu beginnen, welche der Schulzensur 5 oder 6 entspricht. In dieser Situation kann es unter Umständen geschehen, dass eine Geburt nicht mehr aufzuhalten ist.
GEFAHRENSITUATION BEI UNTERSCHIEDLICHEN GEBÄRMUTTERHALSLÄNGEN
Im Folgenden wollen wir Ihnen darstellen, welche Gebärmutterhalslängen wir für problematisch bzw. unproblematisch halten und welche Maßnahmen eventuell zu ergreifen sind. Bei der Beurteilung des Gebärmutterhalses spielt nicht nur die Gebärmutterhalslänge eine Rolle. Von Bedeutung ist auch die Festigkeit des Gebärmutterhalses. Ein unauffälliger Gebärmutterhals ist bis zur 36. Schwangerschaftswoche fest. Ein weicher Gebärmutterhals stellt ein Risiko dar, weil er sich schneller eröffnet. Der Gebärmutterhals weist, wenn er unauffällig ist, einen Knick oder auch eine S-förmige Form im Ultraschall auf. Ist dieser Knick oder diese S-Form aufgehoben und der Gebärmutterhals stellt sich nur noch als eine Gerade dar, so ist dies auch ein Hinweis auf eine drohende Frühgeburt. Keil- oder spaltförmige Eröffnungen des
Gebärmutterhalses sind ein Warnzeichen. Bei einer Gebärmutterhalsverkürzung auf unter 30 mm sollte auf Geschlechtsverkehr verzichtet werden.
Je nach Fortschritt einer Schwangerschaft sind die unterschiedlichen Gebärmutterhalslängen unterschiedlich kritisch zu werten. Eine Gebärmutterhalsverkürzung auf 28 mm bei einer Zwillingsschwangerschaft in der 23. Schwangerschaftswoche beunruhigt mich außerordentlich – 28 mm bei einer Einlingsschwangerschaft in der 34. Schwangerschaftswoche ist meistens belanglos.
- a) Gebärmutterhalslängen über 32 mm:
Diese Gebärmutterhalslängen sind grundsätzlich unauffällig. Der Gebärmutterhals ist meistens fest und die Knick- oder S-Form ist erhalten. Frühgeburten aufgrund von Gebärmutterhalsschwäche oder vorzeitiger Wehen sind praktisch ausgeschlossen. Gebärmutterhalslängen von 40, 50 oder in Ausnahmefällen auch über 60 mm sind möglich. - b) Gebärmutterhalslängen zwischen 30 mm und 32 mm:
Diesbezüglich bevorzugen wir – falls überhaupt – körperliche Schonung, Arbeitsunfähigkeit und Beschäftigungsverbot. Ausnahmsweise beispielsweise bei Zwillingsschwangerschaften, sich rasant verkürzenden Gebärmutterhalslängen oder ungünstiger Vorgeschichte mit Frühgeburt Wehen hemmende Medikamente oder auch Lungenreifebehandlung. - c) Gebärmutterhalslängen zwischen 25 mm und 30 mm:
Hier ist grundsätzlich das Frühgeburtsrisiko erhöht. Es gibt in dieser Gruppe auch Frauen, bei denen der Gebärmutterhals auf dem bescheidenen Niveau konstant bleibt. Therapie ist oft sinnvoll, Schonung und sehr engmaschige Kontrollen, um eine weitere Verschlechterung rechtzeitig zu erkennen. Kein Geschlechtsverkehr, Cerclagepessar, Lungenreife, Wehen hemmende Medikamente, eventuell Cerclage. - d) Gebärmutterhalslängen zwischen 20 mm und 25 mm:
In dieser Gruppe von Patientinnen steigt das Risiko weiter an. Eine stationäre Behandlung ist vor allem bei negativen Zusatzkriterien (Wehen, Zwillinge, weicher Gebärmutterhals, frühes Schwangerschaftsalter) zu diskutieren. Auch in dieser Gruppe gibt es noch Schwangere, die auf diesem schlechten Niveau stabil zu halten sind. Therapie siehe oben. - e) Gebärmutterhalslängen zwischen 15 mm und 20 mm:
Bei der Gruppe dieser Patientinnen ist in zunehmendem Maße unmittelbar mit einer Frühgeburt zu rechnen. Notwendigkeit der stationären Behandlung je nach Schwangerschaftswoche wahrscheinlich. Therapie siehe oben.. - f) Gebärmutterhalslänge unter 15 mm: Es ist jederzeit mit einem Geburtsbeginn zu rechnen. Stationäre Behandlung meistens unumgänglich aber leider meistens ineffektiv.
Bei einer erneuten Verlängerung des Gebärmutterhalses kann sich an eine stationäre Behandlung auch wieder eine ambulante Behandlung anschließen. Der Erfolg einer stationären Behandlung sollte sich in einer Verlängerung des Gebärmutterhalses ausdrücken. Durch das Setzen einer operativen Muttermundsumschlingung (auch ambulant möglich) lässt sich relativ häufig eine Gebärmutterhalsverlängerung erzielen, die dann wieder eine ambulante Behandlung möglich macht. Die operative
Gebärmutterhalsumschlingung zum richtigen Zeitpunkt ist eine hervorragende und sehr sinnvolle Methode. Wer viele solcher Operationen macht, der operiert zu viel. Wer ihren Erfolg nicht erlebt, weil die Frauen dennoch entbinden, der operiert zu spät.
Ich habe in der Zeit meiner kinderärztlichen Ausbildung auch viel mit Frühgeburten zu tun gehabt. Ich habe diese Kinder sterbend oder mit Gehirnschäden gesehen. Es ist sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass ich einen ganz wesentlichen Schwerpunkt meiner Arbeit in der Vermeidung von Frühgeburten sehe. An die tragischen Fälle des Berufslebens erinnert man sich immer. Ein ehemaliger Chef von mir brachte es in etwa folgendermaßen zum Ausdruck: „Die Ungeborenen haben einen Anspruch darauf, mit den besten Karten in diese Welt zu gehen, und die erste beste Karte, die man ziehen kann, ist die Reife.“
Zum Thema Frühgeburten durch Unterlassung:
Deutsches Ärzteblatt, Heft 7 vom 18.02.2011
„Krankenhausfinanzierung: Gestalten statt Verwalten“ von Thomas Gerst:
„Nur wenige Tage liegen zwischen einer neonatologischen Maximalversorung (Level 1) mit attraktiver DRG-Vergütung und einer weniger lukrativen Frühgeburt. Zweifellos besteht in einem solchen Fall der ökonomische Anreiz, auf ein medikamentöses Herauszögern der Geburt zu verzichten, das lediglich eine wenig ertragreiche Liegezeit der Patientin zur Folge hätte. In einem auf Gewinnmaximierung ausgerichteten System ist nicht ausgeschlossen, dass Kinder früher geholt werden, obwohl mit einem vergleichsweise geringen Aufwand der Geburtstermin herausgezögert werden könnte. Für die Verhinderung einer Frühgeburt sind im bestehenden DRG-System keine Leistungsanreize vorgesehen.“
Chefarzt Dr. med. Berghorn, AKH Celle, in einem Brief vom 21.12.2010:
„Die Mitarbeiter von Kinder- und Frauenklinik sind sich einig, dass die mancherorts bei vorzeitigen Wehen vertretene Strategie „Lungenreife und dann entbinden“ auch weiterhin im AKH Celle nicht zur Anwendung kommt.“
Es erfolgte kein Aufschrei in ganz Deutschland.
Gewinnmaximierung ist auch ein Grund dafür, warum die sogenannte sanfte Frühgeburtsbehandlung nach Frau Dr. Marcovich unglaubliche Hassgefühle bei manchen Kinderärzten ausgelöst hat. 1995 lief im Fernsehen ein von Hanni van Haiden gedrehter Film über das Mautner Markhofsche Kinderspital in Wien und Frau Dr. Marina Marcovich. Die Botschaft dieses Filmes war, dass auch extremste Frühgeborene nicht unbedingt der Beatmung und zahlreicher intensivmedizinischer Maßnahmen bedürfen. Frau Dr. Marcovich hat Kinder mit 1500 g nach Hause entlassen. Sie hat eine Art von Medizin betrieben, die wegen der Vermeidung unnötiger stationärer Behandlung bei einer flächendeckenden Umsetzung wohl zur Schließung mancher Kinderklinik führen würde.Das Ziel von Frau Marcovich ist es, Frühgeborene durch unnötige medizinische Maßnahmen nicht zu gefährden. Sie betont, dass auch Frühgeborene bereits menschliche Wesen sind, die leiden können und die psychosomatisch reagieren. Sie nahm auf jede mögliche Art und Weise in Ihrer Behandlung Rücksicht auf die Frühgeborenen. Die Situation in der Gebärmutter wird nachgeahmt. Der Raum, in dem sich das Kind befindet, wird abgedunkelt, um die Augen vor Schäden zu bewahren. Auf den engen körperlichen Kontakt zu den Eltern wird besonderer Wert gelegt. Der Tagesrhythmus auf den Frühgeborenenstationen soll sich nach den Kindern und nicht den Ärzten richten.
Dies bedeutet z. B., dass schlafende Kinder nicht unnötig geweckt werden. Unnötige Untersuchungen und Blutabnahmen haben zu unterbleiben. Frau Dr. Marcovich konnte zeigen, dass so betreute Frühgeborene erheblich weniger Komplikationen erleiden als konventionell versorgte Frühgeburten. Der Film von Hanni van Haiden hat mich emotional außerordentlich berührt. Ich selber habe fast zwei Jahre lang kinderärztlich gearbeitet. Es ist mit den Kindern ähnlich wie im Kreißsaal ist, weniger medizinische Intervention ist oft mehr.
Den Film von Hanni van Haiden über Frau Dr. Marcovich können Sie sich in unsere Praxis ansehen. Wir empfehlen Ihnen auch den Artikel „Hoffnung für eine Handvoll Leben“ aus der Zeitschrift „Der Gesundheitsberater„ aus September 1995 (Organ der Gesellschaft für Gesundheitsberatung GGB e.V.).
Wir möchten Ihnen einige Beispiele zur Problematik Frühgeburt darstellen:
Patientin Nr. 1
Die Patientin ist von ihrem ersten Kind in der 27. Schwangerschaftswoche bei einem bestehenden Herzfehler per Kaiserschnitt entbunden worden. Das Kind verstarb am dritten Lebenstag.
Anlässlich der nachfolgenden Schwangerschaft zunächst keine Vorsorge in unserer Praxis. Von der behandelnden Frauenärztin war wegen einer Gebärmutterhalsschwäche die Einweisung in eine große Klinik erfolgt. Die niedergelassene Frauenärztin wünschte die Durchführung einer Cerclage. Diese wurde wegen einer Besiedlung der Scheide mit bestimmten Keimen nicht durchgeführt. Eine medikamentöse Hemmung der Wehen mit dem Medikament Partusisten fand nicht statt. Der Gebärmutterhals war auf 16 mm verkürzt und der vorangehende Teil des Kindes drückte auf den stark verkürzten Gebärmutterhals.
Die Patientin hat sich in dieser Situation nach Wittingen verlegen lassen. Wir haben sofort mit einer intravenösen Gabe von Partusisten begonnen. Eine Cerclage (operativer Verschluss des Muttermundes durch einen Faden) ließ sich nicht mehr vermeiden. Es wurde die 38. Schwangerschaftswoche erreicht. Bei Z. n. Kaiserschnitt normale Geburt einer Tochter. Inzwischen hat die Patientin ihr drittes Kind auf normalem Wege geboren. Frühzeitige Entlastung der Patientin durch Haushaltshilfe. Prophylaktische Wehen hemmende Medikamente. Prophylaktische Cerclage. Unter diesen Vorsichtsmaßnahmen waren nur sehr kurze stationäre Aufenthalte erforderlich.
Patientin Nr. 2
Erste Schwangerschaft endet in der 24. Schwangerschaftswoche nach vorzeitigen Wehen mit notfallmäßigem Kaiserschnitt und verstorbenem Kind. Patientin in dieser Schwangerschaft nicht in unserer Betreuung. Wir erfahren über einen Kollegen von diesem Fall. Bereits acht Monate später ist die Patientin erneut schwanger. Sehr frühzeitige prophylaktische Maßnahmen zur Vermeidung einer erneuten Frühgeburt beispielsweise durch Beschäftigungsverbot. In der 23. Schwangerschaftswoche fällt im Ultraschall von der Scheide her zum ersten Mal eine geringe keilförmige Öffnung des Muttermundes und ein leichter Fruchtblasenvorwölbung auf. Daraufhin Entscheidung zur Lungenreifebehandlung.
In der 28. Schwangerschaftswoche dann Verkürzung des Gebärmutterhalses auf 25 mm. Daraufhin ein gut zweimonatiger stationärer Aufenthalt mit intravenöser Gabe von Partusisten zur Hemmung der Wehen. Entbindung der Patientin in der 38. Schwangerschaftswoche.
Patientin Nr. 3
Nach drei Spätaborten um die 20. Schwangerschaftswoche herum ohne ein lebendes Kind stellt sich die Patientin in der Annahme von Wechseljahren im Alter von 44 Jahren in der 22. Schwangerschaftswoche wegen ausbleibender Regelblutung in unserer Praxis vor und meint, in den Wechseljahren zu sein. Die überraschende Diagnose einer Schwangerschaft mit Fruchtblasenvorfall in den Gebärmutterhals hinein und einer Verkürzung desselben auf 17 mm.
Sofortige stationäre Aufnahme. Intravenöse Wehen hemmende Behandlung und eine Cerclage konnten rechtzeitig durchgeführt werden. Es folgte ein mehrmonatiger stationärer Aufenthalt. Die Entbindung erfolgte in der 37/0 Schwangerschaftswoche..
Bei rechtzeitiger Erkennung und Therapie bei drohenden späten Aborten hätte die Patientin wahrscheinlich vier gesunde Kinder haben können.
Patientin Nr. 4
15-jährige Patientin mit der ersten Schwangerschaft. Die Schwangerschaft wird nicht von uns betreut. In der 30. Schwangerschaftswoche vermutet die Patientin eine Scheidenentzündung und kommt damit in unsere Praxis. Die letzte Untersuchung von der Scheide her ist am Anfang der Schwangerschaft erfolgt. Die 15-jährige Erstgebärende halten wir aufgrund der nicht geplanten Schwangerschaft und der damit verbundenen seelischen Stresssituation für eine Risikopatientin.
Die Ultraschalluntersuchung ergibt einen auf 8 mm verkürzten Gebärmutterhals. Trotz intravenöser Wehen hemmender Behandlung reduziert sich im Verlauf der nächsten 2 Stunden der Gebärmutterhals auf 6 mm. Daraufhin Entschluss zur notfallmäßigen Cerclage, die erstaunlicherweise auch noch gelingt. Es folgt ein längerer stationärer Aufenthalt. Die Entbindung erfolgt in der 37/5 Schwangerschaftswoche.
Eine zweite Schwangerschaft ist ebenfalls durch vorzeitige Wehen kompliziert. Durch frühzeitig eingesetzte Wehen hemmende Tabletten (Partusisten) und eine rechtzeitige Cerclage kann ein länger stationärer Aufenthalt vermieden werden. Das zweite Kind wird in der 37/6 Schwangerschaftswoche geboren. Das Medikament Partusisten in Tablettenform ist inzwischen vom Markt genommen.
Patientin Nr. 5
Patientin in der 27. Schwangerschaftswoche mit routinemäßiger ambulanter Vorstellung. Das CTG zeigt vorzeitige Wehen. Cervixlänge 27 mm. Gebärmutterhals weich. Jede Wehen hemmende Behandlung sowohl ambulant als auch stationär wird abgelehnt. Wenige Tage später ist das Kind geboren.
Patientin Nr. 6
Das folgende Beispiel zeigt wie Gebärmutterhalslängen schwanken können und wie auch deutlich verkürzte Gebärmutterhalslängen nicht zwangsläufig sofort zu einer Frühgeburt führen. Es handelte sich um eine Zwillingsschwangerschaft. Stationäre Behandlung wurde nicht gewünscht.
SSW | Länge in mm |
---|---|
13/3 | 42,5 |
22/5 | 25,3 |
23/1 | 30 |
23/4 | 22 |
24/3 | 20,7 |
25/1 | 27 32 |
26/2 | 30 |
26/5 | 27,01 |
27/4 | 23 |
27/5 | 29 |
28/5 | 17 |
29/5 | 19,9 |
29/8 | 20 |
30/3 | 26 |
In der 33/2 Schwangerschaftswoche Blasensprung mit nachfolgendem Kaiserschnitt. Die Schwangerschaft bei Entbindung eigentlich schon relativ weit fortgeschritten. Frühgeburten in dieser Schwangerschaftswoche machen meistens keine Probleme mehr. In diesem Fall allerdings bei einem der Zwillinge akute Lebensgefahr.
Patientin Nr. 7
Patientin nach Kinderwunschbehandlung.
SSW | Länge in mm |
---|---|
24/3 | 31 |
26/3 | 29 |
27/4 | 28 |
29/4 | 33 |
31/4 | 25 – 29 |
33/4 | Entbindung |
Entbindung
Interessant dieser Fall weil keine extreme Verkürzungen der Cervix aber dennoch vorzeitiger Blasensprung. Bestätigt unsere Erfahrung, dass alle Cervixlängen unter 30 mm ein erhöhtes Frühgeburtsrisiko ergeben.
Nach unserer Überzeugung lassen sich fast alle Frühgeburten, die nicht durch Nachgeburtsschwäche (die Kinder müssen zur Vermeidung des Absterbens in der Gebärmutter als Frühgeburten geholt werden) oder vorzeitige Plazentalösungen bedingt sind, bei rechtzeitiger Erkennung der Problematik vermeiden. Dafür ist eine sehr engmaschige Mutterschaftsvorsorge erforderlich. Da im ambulanten Bereich die wirtschaftlich entscheidenden Gebührenordnungspositionen sich durch wenige Untersuchungen erzielen lassen, sind die eigentlich erforderlichen häufigeren Untersuchungen wirtschaftlich betrachtet unsinnig. Sowohl im ambulanten wie im stationären Bereich fördert das Abrechnungssystem eher die Anzahl an Frühgeburten als dass diese verhindert werden
Es wird in zahlreichen Krankenhäusern nach dem von Herrn Dr. Berghorn (Chefarzt AKH Celle) zitiertem Verfahren „Lungenreife und dann entbinden“ verfahren. Es wird teilweise sogar bei Kreissaalführungen ganz offiziell erklärt, dass nach der 32. Schwangerschaftswoche nicht mehr zur Vermeidung von Frühgeburten unternommen wird. „Wir haben doch eine Kinderklinik.“ Recherchieren Sie im Internet zu dem Thema Frühgeburten unter Professor Christian F. Poets.
In Niedersachsen haben wir 8% – 9% Frühgeburten, davon 1,3% in der 24. – 31. Schwangerschaftswoche.
Bis zum 4.6.2012 hatte ich die Möglichkeit im Wittinger Krankenhaus Schwangere mit drohenden Frühgeburten selbst zu behandeln. In den Jahren vom 01.04.1990 bis zum 4.6.2012 ergab sich die unten abgebildete Frühgeburtenstatistik (Veröffentlichung später).. Für uns die Situation noch schwieriger, weil wir durch unserer Kinderwunschbehandlung mehr Schwangere mit Zwillingen betreuen als andere Praxen. Nach dem Ende der Behandlungsmöglichkeiten im Wittinger KH deutliche Zunahme der Frühgeburten vor allem bei Zwillingen. Die Krankenkassen haben in unserer Region alles unternommen, um die Betreuung von Schwangeren mit drohenden Frühgeburten an den großen Kliniken zu konzentrieren, die den größten Vorteil von den Frühgeburten haben. Sie haben dies vermutlich in gutem Glauben getan. Die zweite Graphik stellt unsere Frühgeburtenrate ab dem 4.6.2012 dar (Veröffentlichung folgt später).
Die Zahlen sind deutlich schlechter als vorher aber immer noch sehr gut im Vergleich zum Landesdurchschnitt. Auch ich habe durch das Ende der stationären Tätigkeit mit drohenden Frühgeburten gelernt. Aus häufiger Sicht glaube ich, dass es bei der Mehrzahl der drohenden Frühgeburten vielmehr darauf ankommt, dass die Gefahrensituation überhaupt erkannt wird, als das ganz bestimmte Maßnahmen zum Erfolg führen. In einer Vielzahl von Fällen geschieht dies nicht, weil nicht regelmäßig die Gebärmutterhalslänge kontrolliert wird. Wenn die Gefahrensituation aber erkannt wird, dann ist es bei den weniger dramatischen Fällen wichtiger, dass allgemeine Empfehlungen wie körperliche Schonung, Haushaltshilfe und kein Geschlechtsverkehr erfolgen, als dass es auf andere medikamentöse, mechanische oder operative Therapien ankommt. Erst bei den dramatischeren Fällen ist man auf die Kliniken angewiesen, und diese versagen, weil die Wissenschaft uns momentan Unsinn erzählt und weil falsche finanzielle Anreize gesetzt werden.